Eine bemerkenswerte Frau

Ich habe dich immer mal wieder gesehen:

Im Supermarkt, auf der Straße oder in meinem Laden.

Deine schönen Outfits und deine positive Ausstrahlung

trotz deiner körperlichen Behinderung

haben mich beeindruckt.

 

Irgendwann kamen wir ins Gespräch und wir spürten, 

dass wir beide auf einer Wellenlänge waren.

Wir wurden Freundinnen.

Wir trafen uns oft bei mir im Laden und quatschten bei Kaffee und Schokolade.

 

Als kleines Kind hast du von einem Arzt mitbekommen, dass du nur 7 Jahre alt werden wirst.

Aber dieser Arzt hatte unrecht.

Du hast gelebt, geliebt und geheiratet.

Du bist Mama von zwei tollen Jungs geworden.

Du bist so anders, so toll - ich habe dich bewundert.

 

Du warst bestimmt sehr glücklich mit deiner Familie,

aber als wir uns kennenlernten warst du es nicht mehr.

Ich habe es erst nach und nach gemerkt:

Tief in dir drin war eine große Traurigkeit.

Um so länger ich dich kannte, so mehr spürte ich wie verzweifelt du bist.

 

Als deine Söhne erwachsen waren bist mit deinem Mann in das Haus deiner Schwiegermutter gezogen.

Du bist nicht nur in das Haus, sondern in einen gemeinsamen Haushalt mit ihr gezogen.

In der Wohnung wurden kaum Veränderungen vorgenommen, die dir ein selbstständiges Leben

ermöglicht hätten.

 

Als ich dir einmal einen Blumenstrauß schenken wollte, wolltest du ihn nicht annehmen,

weil deine Schwiegermutter keine Blumensträuße auf dem Tisch mag. 

 

Du wolltest einen Job annehmen, doch dein Mann hielt es für besser, dass du zuhause bleibst.

Es war aber kein zuhause für dich. Du konntest dich dort nicht wohlfühlen.

Dein Leben musstest du mit deiner Schwiegermutter teilen und sie immer wieder um Hilfe bitten, 

weil die Wohnung nicht behindertengerecht war.

Du warst gefangen.

 

Als du deinen Mann gebeten hast,  etwas an dieser Situation zu ändern, ging er nicht darauf ein.

Er wollte er seine Mutti nicht alleine lassen.

Du wurdest immer unglücklicher. 

 

Eines Tages konnte ich dich nicht erreichen. Ich versuchte es immer wieder.

Später sagtest du mir, dass ich dir an diesem Tag das Leben gerettet habe...

 

Dann spieltest du mit dem Gedanken auszuziehen und dich von deinem Mann zu trennen.

Ich wusste, dass es irre schwierig werden würde.

Du brauchtest eine barrierefreie, bezahlbare Wohnung und einen Job.

 

Ich habe überlegt, ob du vielleicht doch lieber bei deinem Mann bleiben solltest.

Da sagtest du mir: "Wenn ich bleibe bin ich tot".

 

Von da an wusste ich, dass du gehen musst. Ich war bereit dir so gut ich kann zu helfen.

 

Du hast in kurzer Zeit eine Wohnung und einen Job gefunden und dann bist du ausgezogen.

Ich weiß nicht woher du diese Kraft genommen hast.

 

Heute geht es dir gesundheitlich nicht so gut, aber du bist frei und freust dich dass du leben kannst.

Du hast eine schöne Wohnung, in der du so wohnen kannst wie es dir gefällt.

Du hast eine Arbeit mit netten Kollegen.

 

Irgendwann wirst du nochmal umziehen, weil du es dir noch etwas leichter machen musst.

Auch das wirst du schaffen. Ich helfe dir gerne dabei.

 

Ich freue mich, dass ich mit dir lachen und weinen kann.

Du bist eine außergewöhnliche, bemerkenswerte Frau.

Ich freue mich, dass du meine Freundin bist.

 

Susanne

 

FreiRaum

weiblich#anders#wunderbar